thekenleben

heute sind ganz besonders viele giraffen auf der toilette. sie trotzen dem schachbrettmuster der fliesen und beobachten die gäste während ihrer großen und kleinen verrichtungen. aus der küche dringt das leise stöhnen der wirtsleute bei dem versuch, einander in den pizzaofen zu schieben. teig gibt es schon lange nicht mehr.

blutüberströmt liegen die männer an der theke in den scherben ihrer existenzen. mit den splittern der gläser spicken sie voodoo-puppen in der hoffnung, die schmerzen der anderen mögen größer sein als ihre eigenen. der hund, an den tresen gefesselt, kann sich freuen. immerhin sind seine ketten die einzigen, die sichtbar sind.

wer nicht gitarre spielen kann, unterhält die anwesenden mit lustiger akrobatik. wer nicht bezahlen kann, kassiert, wer nicht sündigen will, muß schlafen. schall und rauch haben längst die luft verdrängt, doch niemand hört, niemand atmet. nur das geschirr ist solidarisch mit den gebrochenen herzen, nur das geschirr.

schales bier fließt in dünnen bächen die treppe hinab und wäscht den gestrigen tag von den stufen. wie kleine weiße boote dümpeln erinnerungen auf dem strom und versickern mit dem rinnsal im boden. alles fließt. bier. blut. zeit.

der hund hat das bein des einen mannes inzwischen fast gänzlich verzehrt. mit seinem instinktiven sinn für symmetrie versucht das tier, dessen äußeres mit dem zustand seiner seele in einklang zu bringen, doch das herz ist zu weit entfernt, als daß der hund es an seiner kurzen kette erreichen könnte. resigniert leckt er seine genitalien, eine fähigkeit, um die er von den männern heftig beneidet wird.

auf der treppe erscheinen zwei musketiere und kreuzen salzstangen zum gefecht. die schwerter und degen sind bereits verbraucht, sie stecken in den leibern der ahnungslosen laufkundschaft, die zuhauf auf bänken und tischen der verwesung harrt.

mit schrillem klingeln kreuzt die straßenbahn die gaststube. niemand blickt auf. straßenbahnen sind vertraute wesen. auch sie bewegen sich auf festen gleisen, und der beton zwischen den schienen ist nur unwesentlich brüchiger als der beton in den köpfen. unverrichteter dinge zieht die bahn wieder ab, durchpflügt die terrasse und verschwindet zwischen den fassaden der geisterstadt.

(usch 6/99)